Derzeit stellt der Onlinehandel mit Lebensmitteln ein medial heiß diskutiertes Thema dar. Immer wieder wird der Händler Amazon mit seinem Angebot Amazon Fresh als Treiber für den Onlinehandel mit Lebensmitteln aufgeführt. Auch Startups, wie beispielsweise Picnic, werden häufig als mögliche Konkurrenten des stationären Lebensmitteleinzelhandels genannt. Diese Darstellungen haben sicherlich ihre Berechtigungen. Den meisten Angeboten ist gemein, dass sie die klassischen Wertschöpfungsketten nicht infrage stellen. Doch genau das sollten etablierte Händler tun. Denn durch neue Technologien werden zunehmend direktere Handelsbeziehungen zwischen Produzenten und Verbrauchern entstehen. Man kann diese auch als Plattform- und Protokollökonomien bezeichnen. Und diese sind unter bestimmten Umständen für beide Seiten äußerst attraktiv.

Im Jahr 2017 wurde erstmals die Marke von 1 Mrd. Euro Umsatz im Onlinehandel mit Lebensmitteln überschritten. Entsprechend populär ist die Auseinandersetzung mit dem Thema, in der immer wieder vom Angriff auf den stationären Lebensmitteleinzelhandel (LEH) die Rede ist. Insbesondere Amazon wird häufig als die Gefahr für den LEH schlechthin angesehen. Doch mittlerweile gibt es ganz andere Entwicklungen, die dem Handel gefährlich werden können. Allerdings braucht der LEH keinerlei Sorgen haben, dass er übermorgen abgeschafft wird. Doch das liegt nicht unbedingt daran, dass der Kunde lieber persönlich im Geschäft einkaufen will oder das Einkaufserlebnis im LEH so grandios wäre. Sondern selbst dann, wenn jeder Kunde den Einkauf online abwickeln wollte, ginge das schlichtweg nicht. Denn es fehlt an praktikablen Logistiklösungen für die letzte Meile und die Verpackungskonzepte, insbesondere für Frischeprodukte und TK-Ware, sind für den Endkunden derzeit alles andere als bequem (und sie wären in Masse obendrein eine ökologische Katastrophe). Das bedeutet, dass der Handel schon aufgrund dieser Sachverhalte die Übertreibungen und Horrorszenarien guten Gewissens ignorieren kann. Was er jedoch nicht ignorieren kann, sind die direkter werdenden Handelsbeziehungen zwischen Produzenten und Verbrauchern.

Dank des Internets können Produzenten, egal ob aus der landwirtschaftlichen Urproduktion, der verarbeitenden Lebensmittelindustrie oder dem Lebensmittelhandwerk, mit Verbrauchern interagieren und von ihnen gefunden werden. Und sie können ihre Produkte direkt vermarkten, was sie auch zunehmend tun. Bisher kennt man vor allem Wochenmärkte oder Hofläden als klassische Wege der Direktvermarktung. Seit einiger Zeit entstehen aber auch immer mehr Onlineshops oder Lieferdienste, die entweder von den Produzenten selbst oder gemeinschaftlich mit anderen Produzenten angeboten werden. Beides ist allerdings mit erheblichem Aufwand verbunden und für viele Betriebe nicht sinnvoll. Denn Bequemlichkeit ist ein ganz wesentlicher Grund, der Menschen zum Einkauf über das Internet motiviert. Wenn der Konsument nun für einen Einkauf mit mehreren Verkäufern interagieren muss, ist das in der Regel nicht mit dem Wunsch nach Bequemlichkeit zu vereinbaren. Auf der Seite der Anbieter ergibt sich außerdem die Schwierigkeit, mit dem eigenen Onlineangebot im Wettbewerb mit den Großen Händlern (Amazon, Rewe etc.) zu stehen.

Eine Möglichkeit, die sowohl für Produzenten als auch Verbraucher eine gewisse Bequemlichkeit mitbringt, ist die Nutzung von Handelsplattformen. Die Funktionsweise einer Plattform ist im Grunde einfach. Anbieter, egal ob Händler oder Produzenten, bieten ihre Waren auf einem Onlineportal an. Eine solche Plattform ist PIELERS. Verbraucher können dort, wie in einem Onlineshop, nach bestimmten Produkten suchen. Sie wickeln ihre Bestellungen bei unterschiedlichen Anbietern über die Plattform ab, ohne sich dafür mehrfach registrieren zu müssen. Das Einkaufsverhalten ist damit ähnlich, wie in einem Onlineshop. Das Einkaufsverhalten muss also nicht erheblich verändert werden, dennoch erfolgt der Einkauf nicht mehr bei einem Händler, sondern beim Produzenten direkt. Das trifft im Übrigen auch auf einen Einkauf bei Amazon zu, wenn ein anderer Verkäufer die Waren über die Plattform von Amazon anbietet.

Ebenfalls eine Art Plattformgeschäftsmodell steckt hinter den Food Assemblies, die in Deutschland Marktschwärmer heißen. Das Prinzip dahinter besteht darin, dass sich Landwirte in einer Region zusammenschließen und ihre Produkte im System der Marktschwärmer einstellen. Kunden können die Produkte dann online auswählen und bestellen. Geliefert werden die Lebensmittel dann aber nicht zu den Kunden nach Hause, sondern an einen zuvor definierten Ort. Das kann z.B. der Hof eines teilnehmenden Landwirtes oder das Ladenlokal eines Händlers in der Stadt sein. Die Kunden kommen dann zum vereinbarten Zeitpunkt dort hin und können ihre Waren in Empfang nehmen. Außerdem lernen sie dabei die Produzenten kennen. Für die Produzenten kommt das Prinzip als eine Art digitalisierter Wochenmarkt daher. Er muss nur die Produkte die gekauft wurden einpacken und mitnehmen. Darüber hinaus muss kein vollständiger Markttag investiert werden. Für die Nutzung erheben die Marktschwärmer eine Gebühr, die zu einem (sehr kleinen Teil) an die Plattform geht und zu einem größeren Teil an denjenigen, der die Verkaufsfläche am Verkaufstag organisiert und bereitstellt. Auch hier haben die Kunden die Möglichkeit, Produkte unterschiedlicher Erzeuger über eine Plattform zu ordern und dann an einer Stelle zentral einzukaufen.

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Weitere Plattformen, über die Kunden bei unterschiedlichen Anbietern Lebensmittel erstehen können, sind Crowdfunding-Plattformen. Interessanter Weise wurde Crowdfunding ausgerechnet durch Kartoffelsalat weltweit populär als ein junger Mann über die bekannte Plattform Kickstarter sinngemäß „Ich mache Kartoffelsalat“ bekannt gab. Seither gibt es eine Vielzahl unterschiedlichster Food-Projekte, bei denen man als Unterstützer am Ende Lebensmittel erhält. So gibt es insbesondere auf dem Portal Startnext viele Food-Projekte und mit der Plattform Erzeugerwelt sogar eine Crowdfunding-Plattform nur für Lebensmittel von Landwirten, Imkern, Winzern und ähnlichen.

Beim Crowdfunding ist es natürlich so, dass man in der Regel eine erhebliche Wartezeit mitbringen muss, bis man seine bestellte Ware erhält. Und auch der Bestellprozess erfolgt jeweils projektbezogen. Dennoch gestaltet sich dies in der Regel komfortabel, da die Abwicklung über die Plattform erfolgt und man, jedenfalls bei mehrfacher Nutzung, den Aufwand einer Registrierung nur einmal hat.

Darüber hinaus gibt es weitere Marktplätze, bei denen Produzenten ihre Lebensmittel direkt zum Kauf anbieten können. Die meisten sind jedoch eher regional oder in einer Nische verortet. Das ist einerseits von Vorteil, da so sehr spezifisch Werbung betrieben werden kann, andererseits wird natürlich nur eine bestimmte Zielgruppe erreicht.

Denkt man die Plattformen nun weiter und bringt moderne Technologien mit ins Spiel, kommt man zu dem, was bereits als Protokollökonomie bezeichnet wurde. Dabei werden die Plattformen nicht mehr zentralisiert von einem Unternehmen oder einer Organisation betrieben, sondern dezentral verteilt von den Teilnehmern des jeweiligen Marktes. In jüngster Vergangenheit wird in diesem Zusammenhang vor allem die Blockchain-Technologie genannt. Und so ist es nicht verwunderlich, dass insbesondere zwei derartiger Ökosysteme auf Basis von Blockchain-Technologie basieren. Zwar sind die derzeit existierenden Beispiele noch weit von dem entfernt, was von Experten bereits beschrieben wird, aber sie zeigen, in welche Richtung die Vermarktung zukünftig gehen kann.

Das erste und vermutlich am weitesten fortgeschrittene Projekt findet man unter der Bezeichnung FOODCOIN ECOSYSTEM. Dabei handelt es sich um eine ganze Sammlung nützlicher Funktionalitäten und Werkzeuge, die der Vermarktung von Lebensmitteln dienen. Ein entsprechender Marktplatz, über den Produzenten ihre Produkte anbieten können findet sich unter dem Namen 1000 EcoFarms. Zwar sind die Angebote in Deutschland und Europa noch überschaubar und auch die Übersetzung der Plattform ist noch verbesserungswürdig, die Anzahl der Anbieter wächst aber stetig. Eine Besonderheit, die charakteristisch für derartige Systeme ist, ist die Möglichkeit, mit einer eigenen Kryptowährung zu bezahlen.

Ein ähnliches Projekt, welches derzeit aber offenbar nicht mit Nachdruck weiterentwickelt wird, findet man unter dem Namen Demeter. Hier sollen nicht nur Produkte gehandelt, sondern auch die Produktion finanziert werden. Ein spannender Ansatz, der allerdings auch als sehr ambitioniert angesehen werden muss.

Natürlich gibt es protokollökonomische Ansätze nicht nur für Produkte der landwirtschaftlichen Urproduktion. Auch für prozessierte Lebensmittel, sogar aus industrieller Produktion, wird in Kürze eine Plattform verfügbar sein. Das ursprünglich unter dem Namen INS Ecosystem entwickelte Projekt bietet sämtlichen Konsumgüterproduzenten eine Infrastruktur für die Direktvermarktung. Auch hier wird es zusätzlich zur Zahlung mit Fiatgeld die Möglichkeit geben,  mit Kryptowährungen, insbesondere mit der eigenen, zu zahlen. Streng genommen hat dieses Projekt für den LEH eine gewaltige Sprengkraft. Denn käme es dazu, dass der Markt das Angebot annimmt und die Logistikprozesse funktionieren, gäbe es praktisch keine Daseinsberechtigung mehr für einen Goßteil der Angebote des etablierten Handels. Zwar wird es bis dahin noch lange dauern und fraglich ist, ob es überhaupt so weit kommt. Der Handel sollte aber die Scheuklappen abnehmen und nicht nur auf Amazon und das Silicon Valley schauen, sondern einen Technology Forecasting etablieren, wie es andere Unternehmen auch tun. Und wer jetzt glaubt, dass die FMCG-Produzenten Angst vor einer Entlistung durch den Handel haben, der täuscht sich. INS wirbt damit, dass bereits 7 der 20 weltweit größten FMCG-Produzenten eine Absichtserklärung unterzeichnet haben. Ein regional beschränkter Test der Plattform, oder besser des hinter der Plattform stehenden Systems, soll noch bis Ende 2018 erfolgen.

Die oben aufgeführten Beispiele zeigen, dass sich viele Möglichkeiten für die Direktvermarktung entwickeln. Die teilweise schon längere Existenz der Plattformen zeigt auch, dass sie von Kunden und Produzenten angenommen werden. Für Händler bedeutet das, dass sie zunehmend Konkurrenz aus einer Ecke erhalten, die bislang keine oder nur eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Allerdings haben auch die neuen Plattformen, sofern die Produkte geliefert werden, mit den Herausforderungen der letzten Meile sowie vertretbaren Verpackungslösungen zu kämpfen.

Quellen und weiterführende Links:
https://www.wiwo.de/unternehmen/handel/exklusive-zahlen-erfolg-von-amazon-lieferdienst-fresh-schockt-deutsche-lebensmittelhaendler/21197724.html

https://www.kickstarter.com/projects/zackdangerbrown/potato-salad?lang=de

https://www.welt.de/wirtschaft/webwelt/article174606443/Web-3-Der-Anfang-vom-Ende-der-Plattformoekonomie-ist-dezentral.html