Geht es um Innovation, Digitalisierung oder die schöne neue Arbeitswelt, kommt man am Thema Startup nicht vorbei. Auf Konferenzen und in den Medien wird quasi in Dauerschleife wiederholt, dass Kooperationen mit Startups für etablierte Unternehmen das Allheilmittel in fast allen Belangen sind. Startups sollen die eingefahrenen Strukturen aufbrechen, für frischen Wind in eingestaubten Abteilungen sorgen, Kunden besser verstehen helfen und bessere Produkte entwickeln. Außerdem gelten Startups generell als viel agiler und innovativer. Daher sollten, so der Tenor, möglichst viele Unternehmen mit Startups kooperieren. So haben sich mittlerweile ganze Geschäftszweige herausgebildet, die mit Startup-Kooperationen und ähnlichem ihr Geld verdienen. Doch was ist dran an diesem Hype? Wir möchten mit diesem durchaus auch provokanten Beitrag etablierten Unternehmen und Startups ein paar Hinweise geben, ob und wie sich Kooperationen sinnvoll nutzen lassen.

Zunächst mal ist das Kooperieren und Zusammenarbeiten zu begrüßen. Insbesondere dann, wenn sich damit komplementäre Fähigkeiten ausnutzen oder aber gemeinsame Stärken bündeln lassen. Das gilt übrigens nicht nur für Startups und etablierte Unternehmen, sondern generell für alle Unternehmen jeden Alters und praktisch jeder Größe. Allerdings nur dann, wenn damit ein konkretes Ziel verfolgt wird. Es lohnt sich also ein Blick darauf, was sich sowohl etablierte Unternehmen als auch Startups von Kooperationen untereinander erhoffen. 

Der Autor Stefan Mair fasst es prägnant zusammen: „Startups haben, was Konzerne wollen: Beweglichkeit, Innovationskraft. Konzerne haben, was Startups möchten: Reichweite, Geld und Erfahrung.“  Etwas ausführlicher kann man sagen, dass sich etablierte Unternehmen insbesondere eine Verbesserung ihres Innovationsklimas und damit eine Steigerung der Innovationsfähigkeit erhoffen. Eine weitere Motivation ist der Zugang zu neuen Technologien, um das eigene Geschäftsmodell zu erweitern oder das Produktportfolio zu ergänzen. Diese Aspekte finden sich in praktisch allen Publikationen zum Thema (vgl. z.B. Erfolgsfaktoren im Mittelstand der Unternehmensberatung Deloitte, Startup meets Mittelstand des RKW oder auch Zusammenarbeit zwischen Grossunternehmen und Start-ups des Österreichischen Inkubatorennetzwerks AplusB). Darüber hinaus führt das Handbuch für Unternehmen und Startups Collaborate to Innovate von UnternehmerTUM auf, dass etablierte Unternehmen durch die Kooperation mit Startups auch einen gesellschaftlichen Beitrag leisten wollen.

Und was erhoffen sich Startups von Kooperationen mit einem etablierten Unternehmen? Sie erhoffen sich in erster Linie Umsatz- bzw. Unternehmenswachstum. Allerdings nicht, weil der etablierte Marktteilnehmer direkt dafür sorgt, sondern aufgrund des Reputationsgewinns, einer erhöhten Bekanntheit und wegen der Verbesserung des Unternehmensimages durch die Zusammenarbeit mit dem bekannten Player. Außerdem erhoffen sie sich natürlich den Marktzugang in Verbindung mit dem Know-how des erfahrenen Unternehmens.

Nachdem nun klar ist, was sich beide Parteien wünschen, bleibt die Frage offen, ob diese Wünsche auch erfüllt werden. Beginnen wir mit der Innovationskraft, die sich Unternehmen von der Kooperation mit Startups erhoffen.

Die Beteiligung oder der Kauf von jungen Unternehmen gehört für viele etablierte Betriebe seit jeher zur Innovationsstrategie. Auf diese Weise gelingt in der Tat der innovationsrelevante Zugang zu neuen Technologien oder neuen Märkten, mit einer Kooperation hat das wegen des nicht zweckgerichteten Zusammenwirkens aber eher weniger zu tun. Die Innovationskraft der Unternehmen steigt dadurch auch nicht, da die jungen Unternehmen entweder weiter als geschlossenes System arbeiten oder in das etablierte Unternehmen integriert werden, was in der Regel auch mit der Übernahme der etablierten Prozesse und Strukturen einhergeht. Ein kultureller Wandel in der etablierten Organisation und damit eine Verbesserung des Innovationsklimas kann damit auch nur dann einhergehen, wenn sich durch die Akquisition die Personalstruktur insgesamt erheblich verändert. Hat das Startup beispielsweise 50 Mitarbeiter und wird in eine bestehende Organisation mit 200 Mitarbeitern integriert, weht schlagartig ein anderer Wind im Hause. Hat die etablierte Organisation aber 2000 Mitarbeiter, dürfte vom frischen Wind in den meisten Bereichen vermutlich nicht mal mehr ein laues Lüftchen ankommen. Was das für noch größere Organisationen bedeutet, dürfte klar sein. Aus der Perspektive von etablierten Unternehmen ist das mit der Innovationskraft also vermutlich mehr Wunsch als Wirklichkeit.

Nun werden einige argumentieren, dass es ja auch Inkubatoren und Acceleratoren gibt, die in die Strukturen etablierter Unternehmen einwirken. In der Theorie ist diese Argumentation richtig. So gibt es durchaus starke Angebote für Startups, wie beispielsweise den METRO Accelerator oder das AGRO INNOVATION LAB von BayWa und RWA. Alle bieten Programme, von denen Gründer profitieren können. Allerdings liegt der Nutzen für etablierte Unternehmen nicht in der Kooperation. Man kann z.B. einfach mal die Mitarbeiter von Unternehmen, die derartige Programme betreiben, nach der Wirkung im Unternehmen befragen befragen. Die Antworten dürften den ein oder anderen sicherlich überraschen. In diesem Zusammenhang gibt es durchaus interessante Geschichten. So wollte ein Accelerator eines namhaften Unternehmens im Jahr 2017 eine FuckUp Night durchführen, durfte das im hausinternen E-Mailverteiler aber so nicht ankündigen. Grund dafür war der Begriff FuckUp, der offenbar die zarten Seelen der Mitarbeiter zu stark strapaziert hätte. Gestreut wurde die Veranstaltung dann mit der Bezeichnung F***Up. Es handelt sich übrigens NICHT um einen der oben genannten Accelerator. Kulturwandel und Innovationskraft werden so also nicht gefördert. Derartige Accelerator und ähnliche Programme verfolgen in der Regel bestimmte Ziele, die  größere Unternehmen auch schon verfolgt haben, lange bevor der Startup-Begriff populär wurde. Diese haben durchaus etwas mit der Innovationsstrategie des großen Unternehmens zu tun. Diese bekommen definitiv Zugang zu neuen Produkten, Ideen und Technologien und profitieren davon in jedem Fall. Aber das muss für das Startup nicht zwangsläufig von Vorteil sein.

Ein Aspekt, der auf den erste Blick unglaubwürdig erscheint, ist in der Praxis jedoch häufiger vertreten als man denkt. Erfolgreiche Unternehmer wollen oftmals tatsächlich andere an ihrem Erfolg teilhaben lassen und der Gesellschaft etwas zurückgeben. Das gilt insbesondere für Familienunternehmen, da diese mit ihrem unternehmerischen Handeln ihre Identität verknüpfen. Diese wiederum ist oftmals stark mit bestimmten Werten und Idealen verbunden. Wenn ein Familienunternehmen sich Themen wie Umweltschutz, Klimaschutz oder Hilfen bei humanitären Katastrophen auf die Fahnen schreiben, ist das glaubhaft und ernst gemeint. Oft liegt Familienunternehmen auch ihre eigene Region besonders am Herzen. Hier gilt: eine Hand wäscht die andere und nicht zuletzt ist es insbesondere abseits der Metropolregionen wichtig, dass auch andere Unternehmen in der Region florieren, damit den Familien der Angestellten ebenfalls Arbeit und Lebensqualität geboten wird.

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Was sowohl für Familienunternehmen als auch für die börsennotierten Großkonzerne gilt: Die Kooperation mit einem Startup sorgt in der Außenwahrnehmung für ein modernes Image. Auf diese Weise profitieren etablierte Unternehmen also auch! Ob das allerdings den oftmals immensen finanziellen Aufwand rechtfertigt darf stark angezweifelt werden, zumal viele der Angebote einschlägiger Unternehmensberatungen und deren Ausgründungen sich das junge Image teuer bezahlen lassen. Und das oft ohne strategische Zielsetzung.

Und was heißt das jetzt für die Startups? Natürlich können auch Startups von Kooperationen mit etablierten Unternehmen profitieren. Allerdings sollte klar sein, dass das nur sehr selten auf Augenhöhe geschehen kann. Das ist für die Gründer nicht unbedingt angenehm. Denn für die meisten großen Unternehmen ist das Startup ein Asset. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Darüber müssen sich die Jungunternehmer im Klaren sein.

Ganz wichtig ist, dass Gründer sich die weit verbreitete Kostenlos-Mentalität verbieten. Das bedeutet zum einen, dass die Gründer nichts geschenkt bekommen, nur weil ihre Kasse knapp ist und jemand anderes sich vielleicht ein moderneres Image verspricht. Wenn einen Startup etwas ohne monetäre Gegenleistung erhält, zahlt es auf andere Weise dafür! Hier muss also sehr genau hingeschaut werden, was man wirklich bekommt, unterschreibt oder vielleicht sogar opfert. Zum anderen bedeutet das Verbot der Kostenlos-Mentalität aber auch, dass man nicht nur wegen eines möglicherweise erfolgreichen Reputationsgewinnes seine Produkte oder Dienstleistungen kostenlos abgibt. Es gibt zahlreiche Startups, deren Referenzlisten mit namhaften Unternehmen gefüllt sind, der damit erzielte Umsatz aber leider nicht existiert. Auf die Hoffnung aufgrund des Reputationsgewinns alleine durch die vermeintliche Kooperation mit einem etablierten Unternehmen mehr Umsatz zu erzielen, sollten Startups also nicht setzen. Wenn Kooperation allerdings bedeutet, dass der etablierte Player zum echten Kunden wird und Umsätze generiert, sieht die Sache anders aus!

Etwas anders gelagert ist es, wenn das Startup gemeinsam mit dem etablierten Unternehmen Entwicklungsaktivitäten betreibt. Dabei ist einerseits die Augenhöhe gegeben und es wird gemeinsam ein jeweils individuelles Ziel verfolgt. Hier profitieren Startups aber auch vom fachlichen Know-how und der Infrastruktur der etablierten Unternehmen. Auf diese Weise können übrigens auch Fördertöpfe in Anspruch genommen werden, was für beiden Seiten von Vorteil sein kann. 

Vorsicht geboten ist auch bei strukturierten Programmen, wie einem Accelerator oder Incubator. Bei derartigen Programmen sollte man eher auf eigenständige Angebote setzen, die von mehreren Unternehmen finanziert werden, wie beispielsweise SmartHectar Innovation. Ein großer Vorteil dieser Programme ist, dass man recht leicht an Kontakte zu Investoren kommt und durch die Qualifikation zur Teilnahme an dem Programm eine Art erste Qualitätssicherung absolviert hat, was für eben diese Investoren ein nicht unwichtiger Indikator ist. Auch Kontakte zu Entscheidern werden so oft schnell geknüpft, was ansonsten ein langer Prozess sein kann. Gründer dürfen aber auch nicht den Zeiteinsatz unterschätzen, der mit dem Durchlauf derartiger Angebote verbunden ist. Denn gerade am Anfang ist Zeit ein entscheidender Faktor, der gerade entlang der Lebensmittel-Wertschöpfungskette besonders existenziell sein kann. Denn viele vermeintlich innovative Produkte können leicht nachgeahmt werden. Und im Zweifel ist ein etablierter Marktteilnehmer im Vergleich zum „schnellen“ Startup keinesfalls so langsam, wie man medial gerne propagiert. Die Anzahl an Produkten, die etablierte Marktteilnehmer von Startups kopiert haben, ist groß.

Anders sieht es für Technologie-Startups aus. Diese haben in der Regel einen Know-how-Vorsprung und benötigen Kapital und ein umfassendes Netzwerk. Hier ist der Zeitfaktor weniger riskant und die Programme sorgen bei den oft aus Technik und Naturwissenschaften stammenden Gründern für eine Erweiterung der Fähigkeiten auf den Gebieten Marketing, Vertrieb und Finanzierung. Und generell gilt: Fachliches Know-how und Kontakte mitnehmen, die restliche Zeit möglichst in Entwicklung und Vertrieb investieren, ggf. in die Vorbereitung des Vertriebs, wenn das Produkt noch nicht fertig ist. Die Angebote für Coaching und Mentoring sollte man nach Möglichkeit nicht zu umfassend wahrnehmen. Denn Coaching und Mentoring für junge Unternehmer lässt sich nicht institutionalisieren!

Besonders kritisch zu sehen ist dabei das Coaching durch angestellte Fach- und Führungskräfte. Es gibt eine Menge sehr erfolgreicher Berater und sehr erfolgreicher Manager, die noch nicht einen einzigen Tag auf eigene Rechnung tätig waren. Sicherlich können diese Personen hilfreiche Tipps geben, wenn es um spezielle geschäftliche oder fachliche Fragestellungen geht und sie verfügen über Kontakte und können Türen öffnen. Der Unternehmerpersönlichkeit mit all ihren Idealen, inneren Konflikten und Fragen können sie jedoch nicht helfen, da sie selbst nie Unternehmer waren. Man sollte also stark darauf achten, dass die Mentoring- und Coachingangebote von Unternehmern wahrgenommen werden und nicht vom „Angestellten auf Lebenszeit“. Gründern empfehlen wir daher die Nähe zu erfahrenen Unternehmern zu suchen. Solche finden sich z.B. auch unter den Mentoren des Food Tech Campus von EDEKA DIGITAL in Berlin. Diese wissen, was es bedeutet ein Unternehmen zu gründen, es mit viel Passion aufzubauen und auch die unangenehmen Dinge zu ertragen. Nur Unternehmer kennen die schlaflosen Nächte, weil das Geld mal wieder nicht reicht, die Unruhe, wenn man von einer Idee getrieben ist oder das Glücksgefühl, welches sich nach einem unternehmerischen Erfolg einstellt. Und nur andere Unternehmer können junge Gründer wirklich stützen, stärken oder aber auch ernsthaft vor gewissen Dingen und Entscheidungen warnen.

Wie eingangs geschrieben, empfehlen wir Kooperationen unter Unternehmen unbedingt. Allerdings halten wir wenig von dem Hype um Kooperationen speziell zwischen Startups und etablierten Unternehmen. Vielmehr sollten Unternehmen, egal ob jung oder alt, ihre Ziele zweckgerichtet und möglichst auf Augenhöhe verfolgen. Andernfalls können Situationen entstehen, die für Startups gefährlich und für etablierte Unternehmen teuer sein können. Es gilt bei Kooperationen immer ein konkretes Ziel zu verfolgen, die gegenseitigen Interessen transparent zu machen und alles vertraglich zu regeln. Im Idealfall gibt es auch einen neutralen Manager oder Moderator der Kooperation.

Und mal ganz ehrlich: Nicht jede Geschäftsbeziehung muss Kooperation getauft werden. In den meisten Fällen wären Bezeichnungen, wie Kunde, Lieferant oder Entwicklungspartner eindeutiger, treffender und irgendwie auch ehrlicher.